Workshop

Rückwärtserzählen

Date
00:00 - 23:59
Location
ZfL, Schützenstr. 18, 10117 Berlin, 3. Et., Trajekte-Tagungsraum
Organizer
Zentrum für Literatur- und Kulturforschung; organisiert von Mona Körte

In Rückwärtserzählungen wird die zeitliche Abfolge von Geschehnissen verkehrt. Solche Inversionen, die die Zeitlichkeit, aber auch die Kausalität betreffen können, kommen in Literatur, Kunst und Wissenschaft immer wieder zum Einsatz. In Geschichtsphilosophie und Wissenschaftsgeschichte bildet retrogrades Erzählen eine kritische Alternative zu zielfixierten Verlaufsgeschichten, die im Ruf stehen, Diskontinuierliches einzuebnen. In Literatur und Film wird es dort produktiv, wo der Chronologie oder mehr noch der Korrelation bestimmter Ereignisse misstraut wird und Raum für andere Lesarten der Zusammenhänge entstehen soll. Exemplarisch hierfür steht Ilse Aichingers Spiegelgeschichte (1946): Auf dem erzählten Weg vom Tod zurück ins Leben schieben sich nicht nur die Wirkungen vor die Ursachen, es werden auch die daraus erfolgenden Konsequenzen miterzählt. Rückwärtserzählungen gehorchen also keineswegs der bloßen Zeitumkehr, sondern aktivieren meist beide Zeitrichtungen. Deshalb ist ihre Dynamik als ein »Rückwärtsvorgang« zu beschreiben, der sowohl desorientierende als auch reorientierende Funktion hat.

Der Workshop möchte die poetologischen und epistemologischen Dimensionen des Rückwärtserzählens näher bestimmen und das Besondere der Inversion an Einzelfällen aus Literatur und Wissenschaft, aber auch aus Film und Musik untersuchen: Ist es der narrative Prozess, der rückwärtsläuft, ist es die Ordnung, in der die erzählten Ereignisse präsentiert werden, oder sind es die Ereignisse der erzählten Geschichte selbst? Wie verhält sich retrogrades Erzählen zu teleologischen Erzählmustern, zu Ursprungs- oder Anfangserzählungen? Und ist es überhaupt ein wirkungsvoller Einspruch gegen die Chronologie?