Traumwissen und Traumkunst: Zwischen Psychoanalyse, virtuellem Experiment und Schlaflabor. Traumwissen und Traumkunst nach dem Jahrhundert der Psychologie 1950-2022

Part I: Traum, Subjekt und Kollektiv in Literatur und Film

Date
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Location
Humboldt-Universität zu Berlin. Hauptgebäude, Erdgeschoss. Unter den Linden 6 10117 Berlin
Organizer
Marie Guthmüller (HU Berlin), Dominic Angeloch (Goethe Universität), Kerstin Thomas (Universität Stuttgart)

Nach einer Phase des intensiven Austauschs zwischen Traumkunst und Traumforschung zwischen 1850 und 1950 bleibt der Traum, auch nach demZweiten Weltkrieg, ein zentralerGegenstand der Künste wie der Wissenschaften. Allerdings zeichnen sich im Umgang mit ihm deutliche Veränderungen ab, die auch Hinweise daraufsind,dass das »Jahrhundert der Psychologie« zu einem Ende gekommen ist: Die Neurowissenschaften, die das Wissen über das menschliche Gehirn und das menschliche Bewusstsein auf eine neue Grundlage stellen, avancieren zum dominierenden Forschungsparadigma, finden in den artistischen Traumkulturen aber zunächst kaum Widerhall. Ähnliches gilt für die bildgebenden Verfahren der Computertomografie, die im Rahmen der Schlaflaborforschung neue Einsichten über das träumende Gehirn vermitteln. Die Allianz zwischen den Künsten und der medizinisch-psychologischen Forschung, die sich in der Auseinandersetzung mit dem Traum ein Jahrhundert lang als so fruchtbar erwiesen hat, verliert für mehrere Jahrzehnte an Bedeutung. Dagegen nimmt der Dialog mit der Psychoanalyse an Intensität zu, besonders was Literatur und Film angeht. Literarische und filmische Subjektivitätsentwürfe werden nun, häufig in Rückgriff auf Freuds Konzept des Unbewussten, mittels traumhafter Darstellungsverfahren gestaltet. Innerhalb der Psychoanalyse selbst dagegen scheint der Traum seine zentrale Stellung als »Via regia zur Kenntnis des Unbewußten« verloren zu haben, auch wenn er innerhalb der Behandlungspraxis weiterhin eine große Rolle spielt:In derpsychoanalytischen Theoriebildung tritt die Auseinandersetzung mit dem Traum zugunsten anderer Paradigmen zurück. Gleichzeitig rücken Träume in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstärkt in den Fokus von Geschichts-, Sozial- und Politikwissenschaften, die sie als Reaktion einesmeistpsychoanalytischgedachtenUnbewussten auf Veränderungen auch der kollektiven Lebenswelten verstehen und als Seismografen fürsoziale und politische Veränderungen zu würdigen beginnen. Mit der Zunahme virtueller Welten im Rahmen geänderter technischer Möglichkeiten, ihrer theoretischen Diskussion und ihrer künstlerischen Erprobung ab den 1990er Jahren, wird der Traum wieder zunehmend im Spannungsfeld von Wissenschaft, Technik und Kunst verhandelt. Die wissenschaftlichen wie künstlerischen Darstellungsverfahren des Traums ebenso wie die subjekttheoretische Auseinandersetzung mit der Traumerfahrung im späten 19. und im 20. Jahrhundert scheinen, wie ein medienarchäologischer Ansatzzeigt,zum Modell immer neuer Immersionstechniken zu werden. Gleichzeitig knüpfen Simulationsfilme und Computerspiele seit der Jahrtausendwende offensichtlich formalundthematischgernanüberlieferteonirischeWelten anundgestaltensieneu. Im literarisch-künstlerischen wie im philosophischen Diskurs schließlich läuft die Auseinandersetzung mit dem Thema Virtualität, die darauf abzielt, das Konzept von Realität als solches neu zu denken bzw. gänzlich ad acta zu legen, nicht selten entlang der Diskussionslinien, die auch die Auseinandersetzung mit dem Traum bestimmt haben bzw. bestimmen.

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Diese Tagung findet hybrid statt. Wir freuen uns, Sie in Präsenz begrüßen zu dürfen. Den Zoom-Link finden Sie anbei.