Der Baum am Ende der Welt. Kultur- und wissensgeschichtliche Perspektiven auf Wälder und Holz im Schwarzen Anthropozän

Humboldt-Universität zu Berlin

Information

Course Type
SE
Semester
SoSe 2022
Location
GEO 47, 0.07
SWS
2
Start
Frequency
wöchentlich
Day
Mo
Time
16-18
E-Mail
robert.stock@hu-berlin.de

Details

Das Master-Seminar widmet sich dem in Anlehnung an Anna Tsings The Mushroom at the End of the World Bäumen und Wäldern, deren Kultur- und Wissensgeschichte sowie aktuellen Debatten. Mit Tsing werden wir uns dem Baum am Ende Welt annähern und dessen konfliktreiche Geschichte und Gegenwart beleuchten. Der Fokus auf Bäume erlaubt es, Wälder als ruinierte Zonen unseres beschädigten Planeten zu beschreiben und analytische Perspektiven auf die sozio-materiellen Beziehungsgeflechte von Menschen, Tieren und Pflanzen zu entwickeln, die durch (post-)koloniale, spätkapitalistische Formationen sowie auch digitale Datenregime gerahmt werden. Yusoff zufolge sind Wälder, d.h. natur-kulturell geformte Holz-Ökonomien/Ökologien, als integraler Bestandteil des Schwarzen Anthropozäns zu befragen, das sich in die Zeit des Beginns der sog. europäischen Expansion zurückverfolgen lässt. Das Seminar beginnt mit grundlegenden Lektüren einschlägiger aktueller Positionen (Tsing; Yusoff) und wird auch konventionelle Beiträge aus der Umweltgeschichte (z.B. Grober; Radkau) berücksichtigen. Weitere thematische Sektionen des Seminars werden sich mit Bäumen und Wäldern befassen und deren changierende Bedeutungen zwischen ökonomischen Ressourcen und Potenzial für die Rettung des Planeten untersuchen. Es gilt u.a., das Material Holz für den kolonialen Raum der Amerikas und die aus der großflächigen Abholzung resultierenden Konsequenzen für indigene Bevölkerungen zu betrachten (z.B. den Roman von Proulx). Des Weiteren werden wir uns mit der Idee der sog. nachhaltigen Bewirtschaftung von Forstflächen befassen und diese historisieren. Dabei steht Holz auch als nachwachsendes Gestaltungsmaterial und nachhaltiger Brennstoff im Mittelpunkt, der in Zeiten der Klimakrise durch Waldbrände gefährdet ist. Zudem sind Wälder als vernetzte Gebilde und aktive Materialien von Interesse, die eng mit neueren Medienökologien verschränkt werden: Mit dem Konzept des Wood Wide Web (Helgason) werden Pilzbasierte Kommunikationsstrukturen von Bäumen untereinander beschrieben, die sich auf diese Weise über Parasiten, Trockenheit o.ä. verständigen. Twittering Trees geben Informationen über ihre Aktivitäten mittels Social Media bekannt und großangelegte Monitoring-Projekte wie Global Forest Watch (Olman und Schneider 2022) übersetzen Interaktionen von Menschen und Pflanzen in neuer Weise. Das Seminar sucht einen interdisziplinären Zugang zur Erforschung von Bäumen und Wäldern zu entwerfen. Wir werden uns diesem Forschungszusammenhang mittels wissenschaftlicher Texte, literarischer sowie auch visueller und filmischer Produktionen annähern, um so eine kulturwissenschaftliche Expertise zu entwickeln. Wenn die Pandemielage es zulässt, werden wir ausgewählte Berliner Orte erkunden, die Einblicke in Holz- bzw. waldwirtschaftliche Zusammenhänge bieten. Das Seminar problematisiert Holz als aktives Material (Eder et al 2020; Wenig et al 2021) im Sinne des Exzellenzclusters „Matters of Activity“ und der geplanten Summer School „Frictioned Functionality. Un-Designing Un-Sustainable Matter“ (Juli 2022). Teilnehmende können sich auf die genannte Summer School bewerben. Weitere Möglichkeiten der Teilnahme (Moderation, Diskutant*in, Tagungsbericht) werden noch bekannt gegeben.

Literature

Eder, Michaela; Schäffner, Wolfgang; Burgert, Ingo; Fratzl, Peter (2020): Wood and the Activity of Dead Tissue. In: Advanced materials (Deerfield Beach, Fla.) , e2001412. DOI: 10.1002/adma.202001412. Grober, Ulrich (2013): Die Entdeckung der Nachhaltigkeit. Kulturgeschichte eines Begriffs. München: Kunstmann. Helgason, T.; Daniell, T. J.; Husband, R.; Fitter, A. H.; Young, J. P. (1998): Ploughing up the wood-wide web? In: Nature 394 (6692), S. 431. DOI: 10.1038/28764. Olman, Lynda C.; Schneider, Birgit (2022): Google Gaia. Feedback Loops for Action with Global Forest Watch. In: Gabriele Dürbeck und Philip Hüpkes (Hg.): Narratives of scale in the anthropocene. Imagining human responsibility in an age of scalar complexity. New York, NY, London: Routledge (Routledge interdisciplinary perspectives on literature). Proulx, Annie (2016): Barkskins. New York: Scribner. Radkau, Joachim (2007): Holz. Wie ein Naturstoff Geschichte schreibt. München: Oekom Verlag (Stoffgeschichten, 3). Tsing, Anna Lowenhaupt (2005): Friction. An ethnography of global connection. Princeton: Princeton Univ. Press. Tsing, Anna Lowenhaupt (2015): The mushroom at the end of the world. On the possibility of life in capitalist ruins. Princeton, NJ: Princeton University Press. Tsing, Anna Lowenhaupt; Swanson, Heather Anne; Gan, Elaine; Bubandt, Nils (Hg.) (2017): Arts of living on a damaged planet. Ghosts of the Antropocene. Minneapolis, London: University of Minnesota Press. Wenig, Charlett; Dunlop, John W. C.; Hehemeyer-Cürten, Johanna; Reppe, Friedrich J.; Horbelt, Nils; Krauthausen, Karin et al. (2021): Advanced materials design based on waste wood and bark. In: Philosophical transactions. Series A, Mathematical, physical, and engineering sciences 379 (2206), S. 1–17. DOI: 10.1098/rsta.2020.0345. Yusoff, Kathryn (2018): A billion black Anthropocenes or none. Minneapolis, MN: University of Minnesota Press (Forerunners ideas first from the University of Minnesota Press).